Tanya Huff: Wilde Wege (Rezension)

Um den Bau einer Bohrplattform vor der kanadischen Küste durchzusetzen, schöpft Amelia Carlson, Geschäftsführerin von Carlson Oil, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel aus. Als sich herausstellt, dass sie es bei der Umweltschutzgruppe Two Seventy-five N nicht nur mit weltlichen Gegnern zu tun hat, engagiert sie die Catherine Gale, eine Hexe, die im Gegensatz zu den meisten Mitgliedern ihrer restlichen Familie mit wilder Magie geboren wurde, einer Magie, die sich nicht den Spielregeln der Familie beugt.
Als Charlotte Gale, ebenfalls wild geboren, mit ihrer Folkband „zufällig“ an einer Festivaltour durch Cape Breton teilnimmt, wird sie ungewollt tiefer in die Ereignisse gezogen und entscheidet sich, es mit ihrer Tante aufzunehmen.

„Wilde Wege“ ist bei weitem kein Jugendroman und Charlotte sicher aus dem Alter heraus, in dem sie als Heranwachsende bezeichnet werden könnte. Dennoch finden wir hier eine starke Coming-off-age-Thematik: Charlotte muss sich entscheiden, wie oder besser gesagt, ob sie sich den strengen Regeln der den Familienbetrieb regelnden Tanten unterwirft oder ihre eigene Art der Magie lebt.
Die Thematik findet sich auch in Jack wieder, ebenfalls Mitglied der Gale-Familie, aber auch ein Drachenprinz, der versucht, sich als normaler Teenager zurechtzufinden, und sich dabei mit den äußerst strengen Regeln konfrontiert sieht, die für die Männer der Familie gelten. Wo ich gerade schon dabei bin: Drachen in Menschengestalt fand ich schon immer unsäglich. Hier aber nicht: Tanya Huff hat hier mühelos einen glaubwürdigen Charakter geschaffen, dessen innere Zerrissenheit ihn unglaublich sympathisch macht:

„Er war ein Drache, aber ein Drache würde sie fressen, und das wollte er nicht, selbst wenn er es konnte. Er war ein Gale, und ein Gale würde sie heimbringen, aber er konnte das nicht. Er war ein Hexer, und er konnte sie in Schmetterlinge verwandeln, aber Schmetterlinge starben viel zu leicht.“

Eher hintergründig wird auch die Problematik der Ölförderung im offenen Meer bzw. Umweltschutz generell thematisiert. Ohne einen moralischen Zeigefinger zu erheben, zeigt die Autorin auf, wie der Mensch sich auf Kosten unseres Ökosystems und anderer Lebewesen – seien es Selkies oder reale Wesen – Vorteile verschafft.

Und ja, es geht in „Wilde Wege“ auch um Liebe. Liebe zur Natur, zur Musik und auch die Liebe zwischen zwei Menschen. Wer eine romantische Liebesgeschichte lesen will, wird aber enttäuscht werden.

Die Handlung von „Wilde Wege“ folgt einer inneren Logik, wenn es auch einige spannende Twists gibt. Der zugrunde liegende Weltenbau ist in sich schlüssig und gut angelegt. Allerdings ist Tanya Huff keine Freundin großer Erklärungen: Passagen, in denen das Magiesystem oder die Familienstrukturen – oder wenigstens wer mit wem liiert ist – fehlen, der Leser muss sie sich selbst erschließen. Das lässt aber auch viel Platz für eigene Interpretationen, so etwa diese Stelle, an der mich das Buch erstmals, dann aber auch völlig, für sich eingenommen hatte:

„Er war gut. Mehr als nur technisch brillant, obwohl er auch das war. Der Bogen flog über die Saiten, und er schuf eine emotionale Verbindung zu jedem, der zuhörte – nicht nur zu den Tänzern, die lächelten und sich bewegten, als hebe die Musik ihre Füße vom Boden. Es war so nah an Magie, wie ein Großteil der Welt es je erleben würde.“

Natürlich darf man nicht vergessen, dass es sich bei „Wilde Wege“ um einen zweiten Band handelt. Hätte ich zuerst „Der Hexenladen“ gelesen (was ich auf jeden Fall nachholen werde), wären einige Sachen vielleicht leichter verständlich gewesen, wenn es sich auch um zwei vollständig eigenständige Geschichten handelt. Bei meiner ebook-Fassung war darüber hinaus nicht immer der Wechsel zwischen den Abschnitten ersichtlich. Da die Perspektive der Handlung öfter wechselt und die Geschichte aus der Sicht verschiedener Personen erzählt wird, führte dies zu einigen Irritationen beim Lesen.

So ist mir der Einstieg in die Geschichte schwer gefallen. Auch an den Schreibstil musste ich mich erst gewöhnen. Tanya Huff schreibt sehr ungewöhnlich, mit extravaganten, aber äußerst treffenden Bildern:

„Der Himmel im Norden sah aus wie ein Bluterguss, lila und grün.“

Blumige Umschreibungen und ausführliche Darstellungen sucht man vergebens. Die Sprache der Autorin ist knapp, leicht, manchmal fast schnodderig. Umso schöner sind dann die Stellen, wo sie bewegt, ohne sentimental zu werden:

„Aber was er jetzt fühlte, was er für Eineen Seulaich empfand, war der Unterschied zwischen dem Betrachten einer Pfütze und dem Betrachten des Ozeans.“

„Wilde Wege“ wurde mir auf der Suche nach einem gutem Titel über Meerjungfrauen empfohlen. Zugegeben, Nixen gibt es keine, dafür ein innovatives Magiesystem und herrlich ausgearbeitete Charaktere.
Erstaunt hat mich, dass Tanya Huff es geschafft hat, mich für Selkies zu begeistern: Wesen mit einer dicken Fettschicht, die in eisig kaltem Wasser leben, fand ich bislang eher abstoßend, und die alten Märchen, in denen Fischer ihnen ihre Felle stehlen, um sie zu Hausarbeit und sexuellen Gefälligkeiten zu zwingen, mehr als befremdlich. Hier haben wir es aber mit einer Art Weiterentwicklung zu tun, mit einer emanzipierten, klugen und gewitzten Spezies, über die zu lesen ordentlich unterhaltsam war.
Viel Spaß gemacht hat auch der trockene Humor der Autorin. Generell bin ich kein Freund humoristischer Fantasy und langweile mich schnell, wenn ein Witz an den nächsten gereiht wird. Die beiläufigen, fast hingeworfenen Bemerkungen haben mich allerdings oft laut auflachen lassen:

„Charlie stieg über eine Plastikarmbrust, als sie das Wohnmobil betrat; sie schob ein halbes Dutzend Spielzeugautos mit dem Fuß aus dem Weg und musste sich seitwärts drehen, (…) um zu vermeiden, einen Stapel schmutziger Teller in die kleine Spüle zu stoßen. (…) Robben und Geiger. Haushaltsführung hatten sie beide nicht erfunden.“

Sehr humorvoll sind auch die immer wieder auftauchenden Bezüge zur Musik und nicht nur Kenner werden ihren Spaß haben, wenn Charlottes innere Stimme die Geschehnisse mit einem passenden Lied kommentiert. Überhaupt ist das Buch ein Schatzfund für alle, die sich für Musik interessieren oder sogar selbst ein Instrument spielen.

Insgesamt gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für „Wilde Wege“, auch wenn es eine Zeit dauert, bis man sich in der Welt der Gales zurechtfindet. Es lohnt sich!

 

Details zum Buch
Tanya Huff: Wilde Wege. Die Hexenchroniken 2.
Feder und Schwert – epub eBook – 400 Seiten
EAN: 9783867622097
Preis: 8,99 Euro

 

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