Bernhard Hennen: Der Verfluchte. Die Chroniken von Azuhr 1 (Rezension)

Milans Lebensweg ist vorgezeichnet: Wie sein mächtiger Vater soll er als Erzpriester die Geschicke seiner Heimatwelt Azuhr leiten. Doch Milan rebelliert – und was als Jugendstreich beginnt, lässt ihn sich nicht nur in den Intrigen alter Feinde verstricken, sondern ruft die Mächte uralter Prophezeiungen auf den Plan.

*****Vorbemerkung:
Beim Lesen habe ich mich auf zwei Experimente eingelassen: Zum einen habe ich erstmals darauf verzichtet, mir währenddessen Notizen zu machen, da ich „den neuen Hennen“ richtig genießen wollte. Zum anderen habe ich erstmals mit jemandem zusammen gelesen und mich über WhatsApp ausgetauscht. Meine Lesepartnerin war Tina von Mein Buch – meine Welt, die in den nächsten Tagen ebenfalls eine Besprechung des Buches online stellen wird.*****

 

„Der Verfluchte“ beginnt für ein Fantasy-Werk überraschend realistisch und könnte zu Anfang glatt als historischer Roman (wenn auch in einem fiktiven Setting) durchgehen. Erst nach einem guten Viertel hält die Magie Einzug und auch dann nur auf derart leisen Sohlen, dass man sich unwillkürlich fragt, ob man sich verlesen hat. Schritt für Schritt entwickelt der Roman seinen märchenhaften Charakter, der an Peter S. Beagle und Neil Gaiman erinnert.

Im Gegenzug zum Hauptstrang, der erstaunlich ruhig ist, ist der Einstieg in den Roman mehr als rasant und wartet nach den ersten 75 Seiten mit einer üblen Wendung auf, die George R.R. Martin Ehre machen würde (man verzeihe mir übrigens die für mich untypischen Vergleiche). Ist der Leser zunächst ratlos ob des Geschehens, kann er im Lauf der Geschichte zumindest vermuten, was es damit auf sich hat.

Hennens Roman überzeugt durch eine innovative Idee, deren volle Schönheit sich wohl erst in den Folgebänden ausbreiten wird. Trotz der überschaubaren Hintergundwelt – der Roman spielt auf einer Insel – gibt es verschiedene, detailreich ausgearbeitete Settings, die deutlich voneinander unterschieden werden können. Am Rande erwähnte Kleinigkeiten lassen den Leser die Szenerie quasi atmen, ob er sich nun mit Milan im Gemach der geheimnisvollen Nok befindet oder einer öffentlichen Hinrichtung auf dem Markt beiwohnt. Zartbesaiteten Lesern wird sich mehr als einmal der Magen umdrehen, aber auch sinnliche Szenen dürfen – wie immer in den Romanen Hennens – nicht fehlen.

Im Gegensatz dazu sind die Figuren eher eindimensional und – bewusst? – überspitzt-archetypisch dargestellt. Nur wenige der Personen machen im Lauf des Romans eine Entwicklung durch. So wächst Milan zwar zu einem Mann heran, der nicht nur seine eigene Prinzipien finden, sondern diese auch mutig vertreten muss, doch geht diese Entwicklung zu schnell, zu glatt ab, ohne dass die dabei zwangsläufig entstehenden inneren Konflikte stark thematisiert würden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis zwischen den verschiedenen Parteien, das schwarz-weiß gezeichnet ist. Und doch zeichnet sich bereits in mehreren Szenen recht deutlich, dass in den kommenden Bänden noch viele Grautöne dazu kommen werden.
Insgesamt ist das Buch für für Hennen-Verhältnisse mit 576 Seiten geradezu kurz (Zum Vergleich: „Die Elfen“ ist mit 1040 Seiten fast doppelt so lang) – viele Aspekte sind nur angedeutet und lassen großen Raum für weitere Bände – was zu der Frage führt: Wann kommt der nächste Band? Und wieviele Bände sind überhaupt geplant? Gerade das Ende des ersten Bandes – weder Abschluss noch Cliffhanger – schreit geradezu nach einer Beantwortung dieser Fragen.

Fake-News gibt es auch in Azuhr.
Wer Hennens Romane kennt, weiß, dass er oft zeitgenössische Themen in seinen Romanen verarbeitet, die Phantastik gleichsam als Spiegel der Realität nutzt. In „Der Verfluchte“ zeigt er mit erschreckender Klarheit, wie leicht die vermeintliche Wahrheit sich manipulieren lässt. Ohne Ausnahme nutzen die auftretenden Parteien die Ereignisse, um für die eigenen Zwecke Propaganda zu machen – mit einer Tragweite, die für sie noch nicht erkennbar ist. Hennen zeichnet ein erschreckendes Bild davon, wie leicht sich die Wahrheit verbiegen lässt und wie gern Menschen einer veränderten Wahrheit Glauben schenken. Hennens Roman ist somit auch ein Appell, nicht alles zu glauben, was man hört.

Fazit:
Ich gebe zu, ich war bei der Lektüre hin- und hergerissen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Geschichte im ersten Band zu wenig Platz hatte, um sich zu entfalten. Im Hinblick auf die noch erscheinenden Bände spreche ich jedoch eine klare Leseempfehlung auf – ich bin gespannt darauf, wie sich die Chroniken entfalten werden. Potential für eine epische Reihe gibt es genügend!

 

Details zum Buch
Bernhard Hennen: Der Verfluchte. Die Chroniken von Azur 1
Fischer TOR – kartoniert – 571 Seiten
ISBN: 978359629726-9
Preis: 16,99 Euro

Hinweis:
Das Buch wurde mir kostenlos vom Verlag zur  Verfügung gestellt. Vielen Dank.

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