Vico Salinus, Sascha Petrovic: Exsanguis (Rezension)

Vico ist nicht begeistert, als statt der versprochenen Mitbewohnerin Sascha in seiner WG einzieht. Anfangs geht er auf Konfrontationskurs, doch beide können nicht abstreiten, dass sie sich voneinander angezogen fühlen, vor allem nicht, nachdem sie eine nicht unbedeutende Gemeinsamkeit festgestellt haben: Beide sind Vampire, darauf angewiesen, immer wieder frisches Blut zu sich zu nehmen. Ein Bedürfnis, dem sie in unterschiedlicher Weise gerecht werden.
Vico nimmt Sascha mit zum „Hof“, auf dem sich regelmäßig eine kleine Gruppe selbsternannter Vampire trifft, die sich zeremoniell Blut abzapfen und in Ritualkelchen vermischt mit Rotwein trinken, nicht ahnend, dass dies für manche von ihnen mehr ist als ein Spiel.
Die Situation spitzt sich zu, als Vico und Sascha eine Affäre beginnen, nicht nur, weil Vico eigentlich mit Julia zusammen ist, die seine Hauptblutquelle ist.

„Exsanguis“ (zu deutsch „blutlos“ oder auch „leblos“) ist ein erfrischend anderer Vampirroman. Tatsächlich fällt das Wort selbst auch nur im Zusammenanhang mit den Wannabees, nie jedoch mit den wirklichen Blutsaugern selbst. Klischees wie spitze Zähne (zur Blutentnahme werden Hilfsmittel wie Spike-Ringe oder Rasierklingen benötigt), besondere mentale oder körperliche Fähigkeiten oder das Motiv der Unsterblichkeit fehlen völlig (im übrigen glitzern sie auch nicht in der Sonne, was extra auf dem Klappentext erwähnt wird, meiner Meinung nach unnötigerweise). Im Gegenteil: Vico und Sascha sind – abgesehen von ihrer Lebensgeschichte – zwei völlig normale junge Männer. Gerade das macht den Reiz des Buches aus.

Erzählt wird die Geschichte abwechselnd von Vico und Sascha selbst, die auch als Autoren des Buches genannt werden – nicht ohne ein Augenzwinkern. Kurze Kapitelüberschriften geben an, in wessen Gedankenwelt der Leser sich gerade befindet, was die Lesbarkeit deutlich verbessert. Neben den aktuellen Geschehnissen gibt es auch Rückblicke in Vicos Vergangenheit, d.h. es gibt drei verschiedene Erzählstränge: Vicos Vergangenheit sowie Vicos und Saschas Gegenwart, wobei sich die letzteren beiden weitgehend decken, so dass eine fortlaufend erzählte Handlung möglich ist. Durch die chronologische Anordnung der Erinnerungen sind die Geschehnisse gut einzuordnen und man verliert nicht den Faden. Durch die Rückblicke erfährt der Leser nicht nur, wie Vico zum Vampir wurde und kann tiefer in seine Persönlichkeit eindringen, sondern sie treiben auch den gegenwärtigen Plot voran bzw. verleihen ihm mehr Schärfe. Über Saschas Vergangenheit erfährt der Leser nur, wenn er selbst darüber nachdenkt oder spricht. Diese Herangehensweise unterstreicht neben sprachlichen Mitteln den unterschiedlichen Charakter des fürsorglichen Sascha im Vergleich zum durchaus gewaltbereiten und impulsiven Vico.

Sowohl die aktuellen Handlungen als auch die Rückblicke werden im Präsenz beschrieben. Dies mag am Anfang gewöhnungsbedürftig sein, doch durch das gewählte Tempus ist der Leser direkter dran, ist quasi stiller Beobachter der Geschehnisse. Dazu passend wird die Handlung größtenteils als innerer Monolog erzählt. Die Wortwahl ist der gesprochenen Sprache angepasst.

Schon nach wenigen Seiten nimmt die Geschichte Fahrt auf und man beginnt sich zu fragen, wo das alles hinführen soll. Die personellen Konstellationen, nicht nur das Dreiergespann Vico – Sascha – Julia, bieten einiges an Konfliktpotential, ein schwieriges Ende ist vorprogrammiert. „Exsanguis“ ist spannend, doch es ist nicht die Handlung, die das Buch besonders macht. Vielmehr ist es die genaue Beobachtung der einzelnen Figuren, nicht nur der Protagonisten. Die Autoren liefern schon beinahe klinische Studien verschiedenster Verhaltensstörungen, etwa in der Figur von Vicos Freundin Julia, die das Blutspenden als Ventil für ihre Autoaggression nutzt. Dabei verzichten sie darauf, den Charakteren Etiketten aufzukleben, und überlassen es dem Leser, die beschriebenen Verhaltensweisen einzuordnen. Auch sonst unterlassen die Autoren es, die Geschehnisse in Schubladen einzuordnen: Dass Sascha sich in Vico verliebt, wird nicht ausgesprochen, sondern der Leser kann es durch die Art, wie er über ihn denkt, mitfühlen. Als Sascha erkennt, dass sein Mitbewohner ebenfalls ein Vampir ist, wird dies ebenfalls nicht ausgesprochen, es wird nur an seiner daraus folgenden Handlung ersichtlich. Ein geschickter Schachzug, durch den der Leser autonom bleibt und seine eigenen Schlüsse ziehen kann. Beeindruckend sind die vielen kleinen Details, die bei der Beschreibung der Charaktere einfließen, und mit denen die Autoren eine erstaunliche Beobachtungsgabe erkennen lassen. Die Figuren wirken weniger konstruiert, sondern man bekommt den Eindruck, es wären real existierende Personen beschrieben worden.

Bemerkenswert ist außerdem die Sachkenntnis der Autoren, die in die Geschichte einfließt, nicht zuletzt in Bezug auf medizinische Fragen wie etwa die Wahl des richtigen Blutgerinnungsmittels. Die Art, wie die Zusammenkünfte auf dem Hof bzw. das Verhalten der einzelnen Mitglieder beschrieben ist, legt nahe, dass die Autoren mit der real existierenden Vampir-Subkultur und dem Phänomen der Donoren (Blutspendern) vertraut sind, auch wenn diese Begriffe nicht fallen. Dabei ist ihre Beschreibung niemals wertend, sondern bleibt immer neutral.

Der Sonic Seducer empfiehlt „Exsanguis“ für jeden, der „weder unter Hämato- noch Homophobie leidet …“. Diese Einschränkung ist unnötig und schreckt potentielle Leser ab. Natürlich fließt Blut und die Rückblicke in Vicos Vergangenheit sind von roher Gewalt geprägt, aber insgesamt ist der Gewaltpegel nicht höher als in jedem Thriller. Was die Homophobie betrifft: Über ein solches Statement sollte unsere Gesellschaft hinaus sein. Die beiden Hauptfiguren sind zwar homosexuell und im Laufe der Geschichte gibt es die ein oder andere (sehr dezente und einfühlsam beschriebene) Sexszene, die aber kaum über Küssen und Streicheln hinausgeht. Letztlich ist die sexuelle Ausrichtung der Protagonisten auch völlig unerheblich, erzählt wird hier schließlich eine Liebesgeschichte.

Leider fällt der Spannungsbogen des Plots zum Ende hin ab und der Schlusskonflikt, auf den die ganze Zeit hingearbeitet wird, enttäuscht. Ein oder zwei weitere Kapitel hätten der Geschichte gut getan – aber seit Januar 2017 gibt es einen zweiten Band, in dem nicht nur die aktuellen Geschehnisse aus dem ersten Teil fortgeführt werden, sondern auch ein Motiv aus den Rückblenden aufgegriffen wird.

Trotz dieser Einschränkung gebe ich für „Exsanguis“ eine klare Leseempfehlung für alle, die Lust auf eine etwas andere Vampirgeschichte haben.

 

Details zum Buch
Vico Salinus, Sascha Petrovic: Exsanguis
Eygennutz Verlag – kartoniert – 300 Seiten
ISBN: 3946643027
Preis: 12,9006 Euro

Hinweis:
Das Buch wurde mir kostenlos vom Eygennutz Verlag zur  Verfügung gestellt. Vielen Dank.

 

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